Eine kleine, anfangs blonde, später weißhaarige Frau voller Energie und einer riesigen Wohnung voller Kunst – das ist Hiltrud Neumann. In Küche und Esszimmer, in Schlafzimmer und Bibliothek, in Arbeitszimmer, Abstellkammer und Bad, mitten in den schmalen 60er Jahrefluren und selbst im Garderobenschrank, dicht an dicht an den Wänden und auf dem Fußboden zeigt sich ihre Leidenschaft für die zeitgenössische Kunst. Eine Leidenschaft, die keineswegs im Verborgenen blüht, ist ihr „offenes Wohnzimmer“ doch über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg eine regelmäßig einmal im Monat stattfindende Institution und Treffpunkt für Künstler und Kunstinteressierte gleichermaßen. Hier wird nicht nur über Kunst diskutiert, hier werden Kontakte geknüpft, Adressen ausgetauscht, Beziehungen angebahnt. Ihre Gastfreundschaft Künstlern gegenüber ist legendär, ihre Russisch- wie ihre Polnischkenntnisse dienen nicht nur der sprachlichen Vermittlung. Ihr aufrichtiges Interesse und die intensive Auseinandersetzung mit den Arbeiten der meist noch jungen, wenig etablierten Künstler öffnen ihr die Türen der Ateliers und macht sie im Gegenzug, wie sich später zeigen wird, für manchen Künstler und manche Künstlerin zum Sprungbrett. Von Freitagmittag bis Sonntags um vier ist sie in Sachen Kunst unterwegs. Der Sonntagnachmittag dann gehört dem Schreibtisch und Unterrichtsvorbereitung – so leidenschaftlich sich Hiltrud Neumann mit der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzt, so leidenschaftlich ist sie Lehrerin für die Fächer Religion, Kunst und Deutsch.

Porträt Hiltrud Neumann, © Jasmin Schöne

Sie engagiert sich: für ihre Schüler, für Künstler und Künstlerinnen, für die Kunst im Allgemeinen, für die Literatur – ihre umfangreiche Sammlung von Märchen aus aller Welt geht 2017 an das Deutsche Märchen- und Wesersagenmuseum in Bad Oeynhausen – und für den Erhalt des Mönchengladbacher Stadttheaters. In einer von ihr in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative „Rettet das Theater an der Hindenburgstraße“ organisierten Versteigerung werden mehr als hundert gespendete Kunstwerke versteigert. Damit ist der Werbe-Etat des Bürgerbegehrens gesichert. Den Abriss des Theaters kann sie nicht verhindern.

Sammlung Neumann, Foto: © Peter Loewy

Für die 1937 in Wusterwitz/Hinterpommern geborene Hiltrud Neumann ist die Wohnung in Mönchengladbach Hardt, die sie 1970 bezieht, ein Zuhause, das sie erst verlässt, als sie allein nicht mehr gut zurecht kommt. Da hat sie ihre Sammlung, die mehrere tausend Objekte einschließlich eines riesigen Archivs zu Künstlerinnen und Künstlern und zur Kunstszene am Niederrhein umfasst, längst dem Museum Goch vermacht.

In einer Ausstellung stellt das Museum 2015 ausgewählte Werke der Sammlung Hiltrud Neumann vor.

Mit „Künstlerpost und Künstlergaben aus der Sammlung Hiltrud Neumann“ 1997 im Heinsberger Kunstverein und „Kisten und Kästen – Aus der Sammlung Hiltrud Neumann“ 2007 in den Räumen des Alten Museums auf der Bismarckstraße in Mönchengladbach ist dies die dritte Ausstellung, die sich allein aus den Beständen der Sammlung zusammensetzt. Für ihr Engagement erhält sie 2011 den Rheinlandtaler des LVR.

 

Am 28. September, nur wenige Tage vor ihrem 83. Geburtstag, hat sich ihr Leben nun vollendet. Der Sarg, in dem sie begraben werden soll, hängt da bereits seit vielen Jahren als Regal an der Wand. Genau so, wie sie mit der Kunst lebte, wollte sie auch mit der Kunst begraben werden.

Sie wird der Kunst fehlen.

Ulrike Lua

 

Ulrike Lua veröffentlichte im Rheydter Jahrbuch Nr. 26 / 2002 den bebilderten Artikel „Die Mönchengladbacher Sammlerin Hiltrud Neumann“.